Erst mit Mitte zwanzig habe ich angefangen, mich mit der Tatsache anzufreunden, dass ich weiblichen Geschlechts (ich sage bewusst nicht "eine Frau") bin. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr hatte ich damit kein Problem, denn es war zu Hause kein Thema. Mein Vater, der mich - sein erstes Kind - kurzerhand zum Sohn umfunktionierte, und meine Mutter, an die ich mich als damals sehr frauenbewegt erinnere, hatten kein Interesse an einer rollenkonformen Konditionierung ihrer Tochter, im Gegenteil. Das kam sicherlich auch meinem Charakter entgegen - ich war keine zarte "Prinzessin", sondern eher burschikos (was nicht heißt, dass ich nicht auch begeistert mit dem Puppenhaus gespielt hätte - aber eben auch mit Matchbox-Autos im Steinbruch).
Der Spaß hatte mit der Geburt meines ersten Bruders ein abruptes Ende - der Stammhalter war da und ich sofort aus dem Radar meines Vaters verschwunden. Ich fiel aus meiner Welt. Plötzlich war nicht mehr "das kannst Du" gefragt, sondern "das musst Du". Schluss mit den Herausforderungen, Ende der Freiheit - Anpassung und Unterwerfung waren plötzlich angesagt. Die ecuatorianische Gesellschaft war in den siebziger Jahren weitaus konservativer als die vom 68er-Aufbruchsgeist durchdrungene deutsche, nicht nur was die Erziehung von Mädchen betraf (als sehr viel schwerwiegender sollte sich jedoch das sehr eigene Verhältnis meiner Stiefmutter zu allem Weiblichen erweisen. Doch das ist eine andere Geschichte).